4.3.3 Beeinflussende Faktoren [9]

Der Umfang der Gefahrenabwendungspflichten und der Sorgfaltspflichten hängt von Einflussfaktoren wie der Art der Produkte, der Händlerrolle, der Handelsstufe oder den originären Händlerpflichten ab.

Bezüglich des Vertriebsgegenstandes gilt grundsätzlich: Das Ausmaß der Sorgfaltspflichten des Händlers steigt mit der Höhe des Schadensrisikos beim Produktgebrauch. Die Händlerpflichten werden teilweise in rechtlichen Vorschriften konkretisiert, z. B. dem Produktsicherheitsgesetz (ProdSG), dem Chemikaliengesetz (ChemG) und dem Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB).

Auch die Rolle des Händlers beim Vertrieb der Produkte beeinflusst maßgeblich seine Pflichten. So sind Kontrollpflichten, Instruktionspflichten und Produktionsbeobachtungspflichten vom Status des Händlers abhängig. Man unterscheidet unter anderen Normal-Händler, Quasi-Hersteller und Importeure. Zu beachten ist, dass die Pflichten aus Produktschutzgesetzen unabhängig neben den Pflichten stehen, die sich aus dem Status des Händlers ergeben. Die Pflichten aus beiden Einflussfaktoren sind zu kombinieren.

Der Normal-Händler ist ein Vertriebsunternehmer, der nicht zugleich Quasi-Hersteller oder Importeur ist bzw. weder die Endmontage des Produkts vornimmt noch die einzige Repräsentanz eines ausländischen Herstellers im Inland darstellt. Die Gefahrenabwendungs- bzw. Sorgfaltspflichten des Normal-Händlers sind vergleichsweise begrenzt:

Grundsätzlich hat er bei der Wareneingangsprüfung eine Sichtkontrolle durchzuführen. Die von ihm vertriebenen Produkte muss er jedoch allgemein nicht auf Konstruktions- oder Fabrikationsfehler prüfen.

Dafür muss er statt der Produktprüfung seiner Hersteller-Beurteilungspflicht nachgehen. Erscheint der Hersteller vertrauenswürdig und kann sich der Händler auf dessen allgemeine Zuverlässigkeit bei sicherheitstechnischen Fragen berechtigterweise verlassen, darf der Normal-Händler sich auf eine Sichtprüfung als ausreichende Maßnahme zur Gefahrenabwendung beschränken.

Im Instruktionsbereich treffen den Normal-Händler Pflichten, sofern eine Information des Kunden/Verbrauchers zur Gefahrenabwehr erforderlich wird. Der Bundesgerichtshof legt in seiner Rechtsprechung fest, dass jeder Händler dafür zu sorgen hat, dass der Käufer die richtige Bedienungsanleitung und etwa erforderliche Warnhinweise erhält. Demnach genügt beim Normal-Händler, dass mit einer Sichtprüfung sichergestellt wird, ob die Gebrauchsanleitung etc. in deutscher Sprache beigefügt ist.

Im Produkbeobachtungsbereich ist der Normal-Händler verpflichtet, Informationen über Herstellungsfehler auszuwerten, wenn diese tatsächlich bekannt geworden sind. Nur tatsächlich bekannt gewordene Angaben, die Hinweise auf die Gefährlichkeit der vertriebenen Produkte enthalten, müssen somit berücksichtigt werden. Die Informationen können zum Beispiel vom eigenen Vertriebspersonal oder Kunden stammen.

Produkthaftungsgefahren drohen dem Normal-Händler nur in Ausnahmefällen, da er grundsätzlich nicht unter den Anwendungsbereich des ProdHaftG fällt. Ist eine Feststellung des Herstellers des Produkts nicht möglich und nennt der Lieferant den Hersteller nicht bzw. die Person, die ihm das Produkt geliefert hat, ist es möglich, dass er als Lieferant herangezogen werden kann. (§ 4 Abs. 3 ProdHaftG)

Als Quasi-Hersteller gilt, wer vorab Produkte, die er später weiter vertreibt, mit seiner Marke, seinem Namen oder einem anderen Kennzeichen mit Unterscheidungskraft versieht und somit den Vertrieb beherrscht. Die folgenden Sorgfalts- bzw. Gefahrenabwendungspflichten des Quasi-Herstellers ergeben sich aus seiner verschuldensabhängigen Deliktshaftung:

Ähnlich wie beim Normal-Händler besteht für den Quasi-Hersteller mangels Konstruktions- und Fabrikationsverantwortung für ein Produkt grundsätzlich nur die Pflicht zur Sichtprüfung sowie die Hersteller-Beurteilungspflicht. Das ist dann der Fall, wenn die Konstruktion/Entwicklung des Produkts unabhängig vom Hersteller stattfindet. Der Quasi-Hersteller hat jedoch eine (Mit-)Verantwortung für Entwicklungs-/Konstruktionsfehler zu tragen, wenn er an der Konstruktion/Entwicklung beteiligt ist. Diese Verantwortung aber auch die Verantwortung für Fabrikatsfehler hängt vom Grad seiner Beteiligung ab.

Ist eine Information des Kunden/Verbrauchers zur Gefahrenabwehr erforderlich, muss der Quasi-Hersteller sicherstellen, dass er die Ware entsprechend kennzeichnet, bzw. ausreichende Bedienungsanleitungen beiliegen, die dem Produktbenutzer entsprechend Produktgefahren und Regeln zur Gefahrenvermeidung darlegen.

Auch der Quasi-Hersteller hat die Pflicht zur passiven Produktbeobachtung. Weiterhin hat er Beanstandungen zu prüfen und sich mit dem Hersteller bzw. dessen Konstrukteuren zu beraten, sobald ihm Schadensfälle bekannt werden. Der Quasi-Hersteller muss Produkte kontrollieren bzw. kontrollieren lassen und seinen Abnehmern Warnhinweise geben, wenn der Hersteller nach eingetretenen Schadensfällen nicht tätig wird. In Ausnahmefällen ist der Quasi-Hersteller zu einer aktiven Produktbeobachtung verpflichtet, wenn ihm der Hersteller unbekannt ist, dessen Produkte er unter eigenem Namen vertreibt. Er hat in diesem Falle auch eigenmächtig organisatorische Maßnahmen zu ergreifen, um über die Bewährung des Produkts in der Praxis Kenntnisse zu gewinnen, besonders über Auffälligkeiten und Unfälle. Die ermittelten Ergebnisse hat er auszuwerten. Gegebenenfalls hat er auch nachträgliche Warnungen oder Rückrufaktionen zu veranlassen, da die Ware durch ihn inverkehrgebracht wurde und er deshalb die Vertriebswege kennt.

Parallel zur deliktsrechtlichen Verschuldenshaftung hat sich der Quasi-Hersteller auch nach dem Produkthaftungsgesetz (§ 4 Abs. 1 Satz 2 ProdHaftG) zu verantworten. Entsprechend hat er für die Fehlerfreiheit der Produkte Sorge zu tragen, die von ihm inverkehrgebracht wurden, unabhängig von seinem Verschulden.

Als Importeur gilt ein Händler, der ein Produkt in den Binnenmarkt einführt oder verbringt, welches im Ausland gefertigt wurde. Für Importeure bestehen besondere Sorgfalts- bzw. Gefahrenabwendungspflichten aufgrund ihrer deliktsrechtlichen Verschuldungshaftung:

Bei Produkten von Herstellern aus Ländern, die die gleichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen haben wie in der Bundesrepublik Deutschland, kann der Importeur die (Wareneingangs-)Prüfungen auf eine Sichtprüfung beschränken. Das trifft beispielweise auf Produkte zu, die aus anderen EU-Ländern stammen.
Wurde die Ware in einem anderen Teil der Welt produziert, wo nicht zwingend ein mit der Bundesrepublik Deutschland vergleichbarer Sicherheitsstandard angewendet wird, hat der Importeur durch geeignete Prüfungsmaßnahmen sicherzustellen, dass die „anerkannten Regeln der Technik“ durch das Produkt eingehalten werden.

Existieren keine konkreten inländischen Sachregelungen für das Produkt, sondern lediglich rechtliche Generalklauseln („Erforderlichkeit“), kann die Prüfungspflicht entsprechend reduziert werden. Die Hersteller-Beurteilungspflicht ist dann wiederum entsprechend verstärkt.

Es gilt mithin für den Importeur eine eingeschränkte Fabrikations- und Konstruktionsverantwortung.
Untersuchungen und Prüfungen, für die der Hersteller verantwortlich ist, muss der Importeur nicht wiederholen. Folgende Besonderheiten gelten für den Importeur neben den für den Händler vorgeschriebenen Instruktionspflichten: Der Importeur muss sicherstellen, dass in Landessprache ausformulierte Gebrauchsanleitungen beiliegen, da diese für den Binnenmarkt unabdingbar sind. Der Alleinimporteur ist im besonderen Maße für die erforderlichen Standards inhaltlich verantwortlich.

Importeure trifft eine Produktbeobachtungspflicht. Die Pflicht trifft besonders zu, wenn die Ware im Inland allein von einem Importeur vertrieben wird. Seine inländische Monopolstellung als Verteiler der Waren und als Bindeglied zwischen dem inländischen Verbraucher und dem ausländischen Hersteller begründet diese Pflichtenstellung. Die Pflicht umfasst die Kenntnisnahme von Schadensfällen im Zusammenhang mit diesen Produkten sowie die systematischen Beobachtungen des Verhaltens der Produkte im Einsatz und des Verhaltens des Benutzers.
Parallel zur deliktsrechtlichen Verschuldungshaftung hat der Importeur das Produkthaftungsgesetz zu beachten. Es besagt, dass der Importeur dem Hersteller in den Fällen gleichgestellt ist, in denen er Produkte in den Europäischen Binnenmarkt einführt oder verbringt und sie mit einem wirtschaftlichen Zweck vertreibt. Damit eine verschuldensunabhängige Haftung des Importeurs für Konstruktions-, Fabrikations- und Instruktionsfehler nach ProdHaftG besteht, muss er die oben genannten Einzelpflichten beachten.

Auch die Handelsstufe kann Einfluss nehmen auf die Art und den Umfang der Sorgfaltspflichten. In der Literatur und Rechtsprechung des BGH gibt es kaum Hinweise auf eine Unterscheidung von Groß- und Einzelhändlern, Fachhändlern, Kaufhäusern und Versandhäusern. Lediglich im Lebensmittelrecht werden die Gefahrenabwendungspflichten an der Stellung der Beteiligten dimensioniert. An Importeure sind strengere Maßstäbe anzulegen als an Großhändler, und Einzelhändler haben wiederum geringere Voraussetzungen zu erfüllen.